Allgemeines
Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794
Aus der EINLEITUNG
I. Von den Gesetzen überhaupt.
Publication.
§. 10. Das Gesetz erhält seine rechtliche Verbindlichkeit erst von der Zeit
an, da es gehörig bekannt gemacht worden.
[A law is legally binding only from the time at which
it becomes known].
§. 11. Es müssen daher alle gesetzliche Verordnungen, ihrem völligen Inhalt
nach, an den gewöhnlichen Orten öffentlich angeschlagen, und im Auszuge in
den Intelligenzblättern der Provinz, für welche sie gegeben sind, bekannt
gemacht werden.
[The full texts of all lawful ordinances must be
published in the usual places and displayed in public. Excerpts must
be published in the papers of the province.]
§. 12. Es ist aber auch ein jeder Einwohner des Staats, sich um die Gesetze,
welche ihn oder sein Gewerbe und seine Handlungen betreffen, genau zu
erkundigen gehalten; und es kann sich niemand mit der Unwissenheit eines
gehörig publizierten Gesetzes entschuldigen.
[Every inhabitant of the state must
know the laws that concern his business. No one is excused through
ignorance of the law.]
§. 13. Nur in dem Falle, wo vorhin erlaubte, oder als gleichgültig
angesehene Handlungen durch Strafgesetze eingeschränkt, oder verboten worden,
soll der Uebertreter mit dem Einwande: daß er, ohne Vernachläßigung seiner Pflichten, vor der vollbrachten That,
von dem Verbote nicht annoch gehört werden.
Anwendung der Gesetze.
§. 14. Neue Gesetze können auf schon vorgefallene Handlungen und
Begegebenheiten nicht angewendet werden.
Wen die Gesetze verbinden.
§. 22. Die Gesetze des Staats verbinden alle Mitglieder desselben, ohne
Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechts.
[Laws bind all the members of
the state no matter what their status, rank, or sex]
II. Allgemeine Grundsätze des Rechts.
§. 73. Ein jedes Mitglied des Staats ist, das Wohl und die Sicherheit des
gemeinen Wesens, nach dem Verhältniß seines Standes und Vermögens, zu
unterstützen verpflichtet.
[Every member of the state is obligated to support the
state depending on the status and wealth of the member.]
Verhältnis des Staats gegen seine Bürger.
§. 74. Einzelne Rechte und Vortheile der Mitglieder des Staats müssen den
Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn
zwischen beyden ein wirklicher Widerspruch (Collision) eintritt, nachstehn.
[Individual rights and advantages
of members of the state must yield to the rights and duties of the common
good when there is conflict between the two.]
§. 75. Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besondern Rechte und
Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genöthigt wird, zu
entschädigen gehalten.
[The state must compensate those
who sacrifice their rights to the commonweal.]
§. 76. Jeder Einwohner des Staats ist den Schutz desselben für seine Person
und sein Vermögen zu fordern berechtigt.
§, 77. Dagegen ist niemand sich durch eigne Gewalt Recht zu verschaffen
befugt.
§. 78. Die Selbsthülfe kann nur in dem Falle entschuldigt werden, wenn die
Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbringlichen Schadens zu spät
kommen würde.
Quelle des Rechts.
§. 82. Die Rechte des Menschen entstehn durch seine Geburt, durch seinen
Stand, und durch Handlungen oder Begebenheiten, mit welchen die Gesetze eine
bestimmte Wirkung verbunden haben.
[The rights of human beings arise
from birth, status, and circumstances with which laws have granted a certain
effect.]
§. 83. Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche
Freyheit, sein eignes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Andern, suchen
und befördern zu können. [The rights of human beings are
grounded on the search for their natural freedom and their well-being
without injury to the rights of others.]
§. 84. Die besondern Rechte und Pflichten der Mitglieder des Staats beruhen
auf dem persönlichen Verhältnisse, in welchem ein jeder gegen den andern und
gegen den Staat selbst, sich befindet.
§. 85. Rechte und Pflichten, welche aus Handlungen oder Begebenheiten
entspringen, werden allein durch die Gesetze bestimmt.
§. 86. Rechte, welche durch die Gesetze nicht unterstützt werden, heissen
unvollkommen, und begründen keine gerichtliche Klage oder Einrede.
§. 87. Handlungen, welche weder durch natürliche, noch durch positive
Gesetze verboten worden, werden erlaubt genannt.
Aus dem Zweiten Theil2
Siebenter Titel
Vom Bauerstande
Erster Abschnitt
Vom Bauerstande überhaupt
§. 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des platten Landes begriffen,
welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der
Landwirtschaft beschäftigen; in so fern sie nicht durch adliche Geburt, Amt,
oder besondre Rechte, von diesem Stande ausgenommen sind.
§. 2. Wer zum Bauerstande gehört, darf, ohne Erlaubniß des Staats, weder
selbst ein bürgerliches Gewerbe treiben, noch seine Kinder dazu widmen. (§.
173.)
Allgemeine Rechte und Pflichten des Bauerstandes.
§. 8. Ein jeder Landmann ist die Cultur seines Grundstücks, auch zur
Unterstützung der gemeinen Nothdurft, wirthschaftlich zu betreiben schuldig.
§. 9. Er kann also dazu von dem Staate auch durch Zwangsmittel genöthigt,
und bey beharrlicher Vernachläßigung, sein Grundstück an einen Andern zu
überlassen angehalten werden.
Vierter Abschnitt
Von den persönlichen Pflichten und Rechten der Unterthanen
Persönliche Freyheit der Unterthanen.
§. 147. Unterthanen werden, außer der Beziehung auf das Gut, zu welchem sie
geschlagen sind, in ihren Geschäften und Verhandlungen als freye Bürger des
Staats angesehen.
§. 148. Es findet daher die ehemalige Leibeigenschaft, als eine Art der
persönlichen Sklaverey, auch in Ansehung der unterthänigen Bewohner des
platten Landes, nicht statt.
§. 149. Sie sind fähig, Eigenthum und Rechte zu erwerben, und dieselben
gegen jedermann, auch gerichtlich, zu vertheidigen.
Heirathen.
§. 161. Unterthanen sind bey ihrer vorhabenden Heirath die herrschaftliche
Genehmigung nachzusuchen verbunden.
§. 162. Die Herrschaft aber kann ihnen die Erlaubniß ohne gesetzmäßige
Ursache nicht versagen.
§. 163. Gesetzmäßige Weigerungsursachen sind, wenn die Person, welche der
Unterthan heirathen will, sich grober Verbrechen schuldig gemacht hat;
§. 164. Ferner, wenn diese Person wegen Liederlichkeit, Faulheit, oder
Widerspänstigkeit bekannt ist, und dessen durch glaubwürdige Zeugnisse
überführt werden kann;
§. 165. Ingleichen, wenn dieselbe wegen körperlicher Gebrechen unfähig ist,
den wirthschaftlichen Arbeiten, deren Verrichtung ihr obliegt, gehörig
vorzustehn.
§. 166. Auch Leuten, welche selbst, körperlicher Gebrechen wegen, sich und
eine Familie zu ernähren außer Stande sind, kann die Herrschaft die
Erlaubniß zu einer Heirath, durch welche ihre Umstände nicht verbessert
werden, versagen.
Erziehung und Bestimmung der Kinder.
§. 171. Kinder der Unterthanen müssen in der Regel dem Bauerstande, und dem
Gewerbe der Aeltern sich widmen.
§. 172. Ohne ausdrückliche Erlaubniß der Gutsherrschaft können sie zur
Erlernung eines bürgerlichen Gewerbes, oder zum Studiren nicht gelassen
werden.
Gesindedienste der Unterthanenkinder.
§. 185. Die Kinder aller Unterthanen, welche in fremde Dienste gehen wollen,
müssen sich zuvor der Herrschaft zum Dienen anbieten.
§. 186. Dies Anbieten muß spätestens Drey Monathe vor Weihnachten, oder dem
sonstigen durch Provinzialgesetze bestimmten Antrittstermine des
Landgesindes geschehen.
§. 187. Die Herrschaft muß in den ersten Vierzehn Tagen dieses Vierteljahrs
sich erklären; ob sie ein solches Gesinde in ihre Dienste nehmen wolle.
Züchtigungsrecht der Herrschaft.
§. 227. Faules, unordentliches, und widerspenstiges Gesinde, kann die
Herrschaft durch mäßige Züchtigungen zu seiner Pflicht anhalten; auch dieses
Recht ihren Pächtern und Wirthschaftsbeamten übertragen.
§. 228. Eine gleiche Befugniß steht der Herrschaft in Ansehung des Gesindes
der Unterthanen zu, wenn dasselbe von diesen zum Hofedienste geschickt wird
und sich dabey faul, unordentlich, oder widerspanstig bezeiget.
§. 229. Bey solchen Züchtigungen aber muß nicht die Gesundheit, vielweniger
das Leben des Gesindes in Gefahr gesetzt werden.
§. 230. Auch muß die Herrschaft solcher Züchtigungsarten, wodurch die
Schamhaftigkeit, besonders bey dem Gesinde weiblichen Geschlechts, verletzt
wird, sich enthalten.
Sechster Abschnitt
Von den Diensten der Unterthanen
Wozu die Dienste geleistet werden müssen.
§. 308. Die Dienste, welche die Unterthanen ihrer Herrschaft zu leisten
haben, sind eigentlich zur Bewirthschaftung und Benutzung der
herrschaftlichen Grundstücke bestimmt.
§. 309. Auf andern Gütern, als wozu die Unterthanen bisher geschlagen waren,
können sie zu dienen nicht gezwungen werden.
Möglichste Festsetzung gemessener Dienste.
§. 314. Alle Arten der Hofedienste sollen künftig, so viel als möglich, nach
Zeit, Ort, Maaß, oder Gewicht, bestimmt werden.
§. 315. Bey Bestimmung der ungemessenen Dienste ist sowohl auf die Nothdurft
des Guts, zu dessen Cultur die Unterthanen angesetzt sind, als auf deren
eigne Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.
Anfang und Ende der Tagarbeit.
§. 361. Wo nach dem Landesgebrauche keine andere Bestimmungen angenommen
sind, muß der Unterthan vom Fünfzehnten April, bis zu Ende des Monaths
August, früh von Fünf Uhr an; in der übrigen Jahreszeit aber mit
Sonnenaufgang den Dienst antreten, und in allen Fällen denselben vor
Sonnenuntergang nicht wieder verlassen.
§. 262. Doch muß bey diesen Zeitbestimmungen auf die Entfernung des Orts, wo
der Dienst geleistet werden soll, von dem Wohnorte des Unterthans, billige
Rücksicht genommen werden.
Ruhestunden.
§. 363. Bey Spanndiensten sowohl, als bey Handarbeiten, müssen den
Unterthanen die jeden Orts gewöhnlichen Ruhestunden zum Frühstücke, zum
Mittage, und zur Vesper gelassen werden.
§. 364. Wo die Gewohnheit des Orts, nichts Bestimmtes festsetzt, da sind den
Unterthanen, bey Spanndiensten, am Vormittage Eine, zu Mittage Zwey, und den
Nachmittag wieder Eine; so wie bey Handdiensten, auf jede der drey
Tagezeiten, Eine Ruhestunde zu gestatten.
§. 365. Im Winter, vom Ein und zwanzigsten September bis Ein und zwanzigsten
März, fallen die Früchstücks- und Vesperstunden weg; und es können an Orten,
wo mehr als Ein Gespann auch in kurzen Tagen gemacht wird, nur die
Futterstunden gerechnet werden.
Neunter Titel
Von den Pflichten und Rechten des Adelstandes
Bestimmung des Adelstandes.
§. 1. Dem Adel, als dem ersten Stande im Staate, liegt, nach seiner
Bestimmung die Vertheidigung des Staats, so wie die Unterstützung der äußern
Würde und innern Verfassung desselben, hauptsächlich ob.
Vorrechte des Adels.
§. 34. Personen des Adelstandes sind der Regel nach nur dem höchsten
Gerichte in der Provinz unterworfen.
§. 35. Der Adel ist zu den Ehrenstellen im Staate, wozu er sich geschickt
gemacht hat, vorzüglich berechtigt.
§. 36. Doch bleibt dem Landesherrn die Beurtheilung der Tüchtigkeit, und die
Auswahl unter mehrern Bewerbern unbenommen.
§. 37. Nur der Adel ist zum Besitze adlicher Güter berechtigt.
Eilfter Titel
Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften
Allgemeine Grundsätze.
§. 1. Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen,
der Glaube, und der innere Gottesdienst, können kein Gegenstand von
Zwangsgesetzen seyn.
§. 2. Jedem Einwohner im Staate muß eine vollkommene Glaubens- und
Gewissensfreyheit gestattet werden.
§. 3. Niemand ist schuldig, über seine Privatmeinungen in Religionssachen
Vorschriften vom Staate anzunehmen.
§. 4. Niemand soll wegen seiner Religionsmeinungen beunruhigt, zur
Rechenschaft gezogen, verspottet, oder gar verfolgt werden.
§. 5. Auch der Staat kann von einem einzelnen Unterthan die Angabe: zu
welcher Religionspartey sich derselbe bekenne, nur alsdann fordern, wenn die
Kraft und Gültigkeit gewisser bürgerlichen Handlungen davon abhängt.
§. 6. Aber selbst in diesem Falle können mit dem Geständnisse abweichender
Meinungen nur diejenigen nachtheiligen Folgen für den Gestehenden verbunden
werden, welche aus seiner, dadurch, vermöge der Gesetze, begründeten
Unfähigkeit zu gewissen bürgerlichen Handlungen oder Rechten von selbst
fließen.
Vom häuslichen Gottesdienste.
§. 7. Jeder Hausvater kann seinen häuslichen Gottesdienst nach Gutfinden
anordnen.
§. 8. Er kann aber Mitglieder, die einer andern Religionspartey zugethan
sind, zur Beywohnung desselben wider ihren Willen nicht anhalten.
§. 9. Heimliche Zusammenkünfte, welche der Ordnung und Sicherheit des Staats
gefährlich werden könnten, sollen, auch unter dem Vorwande des häuslichen
Gottesdienstes, nicht geduldet werden.
Zwölfter Titel
Von niedern und höhern Schulen
III. Von Universitäten.
Aufsicht über ihre Studien, und Lebensart.
§. 81. Nach geschehener Immatriculation muß der Student seine Matrikel dem
Decanus der Facultät vorlegen.
§. 82. Bemerkt der Decanus an einem zu seiner Facultät gehörenden Studenten
Unfleiß oder unordentliche Lebensart: so muß er davon dem academischen
Senate Anzeige machen.
§. 83. Dieser muß den Studirenden durch nachdrückliche Ermahnungen zu
bessern suchen, und wenn dieselben fruchtlos sind, seinen Aeltern oder
Vormündern, so wie denjenigen, von welchen sie Stipendia genießen, davon
Nachricht geben.
Von der academischen Disciplin.
§. 84. Alle Studirende müssen den allgemeinen Polizeygesetzen des Landes und
Orts sowohl, als den besondern die academische Zucht betreffenden
Vorschriften und Anordnungen, die genaueste Folge leisten.
§. 85. Besonders müssen Schlägereyen, Schwelgereyen, und andre zum
öffentlichen Aergerniß, oder zur Stöhrung der gemeinen Ruhe und Sicherheit
gereichende Excesse der Studenten, nachdrücklich geahndet werden.
§. 86. Der Rector oder Prorector ist vorzüglich, und nach ihm der
academische Senat, für alle entstandene Unordnungen, welche durch genauere
Aufmerksamkeit und Sorgfalt hätten vermieden werden können, dem Staate
verantwortlich.
§. 87. Gefängnißstrafe muß an Studirenden nur zu solchen Zeiten und Stunden,
wo sie dadurch an Besuchung der Collegien nicht verhindert sind, vollzogen
werden.
§. 88. Sie muß mit gänzlicher Entfernung aller gesellschaft, und Entziehung
der gewöhnlichen Bequemlichkeiten des Lebens verbunden seyn.
§. 89. Wiederholte grobe Excesse, Widersetzlichkeit gegen den academischen
Senat, und dessen zur Ausübung der academischen Zucht verordnete Bediente;
Aufwiegeleyen, Rottenstiftungen, und Verführung Anderer, müssen mit
Relegation bestraft werden.
Besonders in Ansehung des Schuldenmachens.
§. 99. Kein Studirender, er mag der väterlichen oder vormundschaftlichen
Gewalt noch unterworfen sein, oder nicht, kann, so lange er auf
Universitäten ist, ohne Vorwissen und Consens des academischen Gerichts
gültig Schulden contrahiren oder Bürgschaften übernehmen.
§. 100. Kostgeld, Waschgeld, Perukenmacher- und Barbierlohn, soll nicht über
Einen Monath; Stubenmiethe, Bettzins und Aufwartung nicht über Ein
Vierteljahr; Arzeneyen und Arztlohn nicht über Ein halbes Jahr; und das
Honorarium für die Collegia höchstens nur bis zum Ende des Collegii geborgt
werden.
§. 101. Schneider und Schuster können nur auf Zehn, so wie Buchbinder nur
auf Drey Thaler Credit geben; und müssen diesen Credit auf länger als Einen
Monat nicht ausdehnen.
§. 102. Das Honorarium für den Unterricht in Sprachen und Leibesübungen darf
nicht über Drey Monathe creditirt werden.
Dreyzehnter Titel
Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt
Allgemeine Grundsätze.
§. 1. Alle Rechte und Pflichten des Staats gegen seine Bürger und
Schutzverwandten vereinigen sich in dem Oberhaupte desselben.3
§. 2. Die vorzügliche Pflicht des Oberhaupts im Staate ist, sowohl die
äußere als innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, und einen jeden bey dem
Seinigen gegen Gewalt und Störungen zu schützen.
§. 2. Die vorzügliche Pflicht des Oberhaupts im Staate ist, sowohl die
äußere als innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, und einen jeden bey dem
Seinigen gegen Gewalt und Störungen zu schützen.
§. 3. Ihm kommt es zu, für Anstalten zu sorgen, wodurch den Einwohnern
Mittel und Gelegenheiten verschafft werden, ihre Fähigkeiten und Kräfte
auszubilden, und dieselben zur Beförderung ihres Wohlstandes anzuwenden.
§. 4. Dem Oberhaupte im Staate gebühren daher alle Vorzüge und Rechte,
welche zur Erreichung dieser Endzwecke erforderlich sind.
Majestätsrechte.
§. 5. Die Vertheidigung des Staats gegen auswärtige Feinde anzuordnen;
Kriege zu führen; Frieden zu schließen; Bündnisse und Verträge mit fremden
Staaten zu errichten, kommt allein dem Oberhaupte des Staats zu.
§. 6. Das Recht, Gesetze und allgemeine Polizeyverordnungen zu geben,
dieselben wieder aufzuheben, und Erklärungen darüber mit gesetzlicher Kraft
zu ertheilen, ist ein Majestätsrecht.
§. 7. Privilegia, als Ausnahmen von dergleichen Gesetzen zu bewilligen,
Standeserhöhungen, Staatsämter und Würden zu verleihen, gebühret nur dem
Oberhaupte des Staats.
§. 8. Todesurteil, ingleichen solche, die eine Zehnjährige Gefängniß- oder
noch längere oder härtere Strafe festsetzen, können ohne ausdrückliche
Bestätigung des Oberhaupts im Staate nicht vollzogen werden.
§. 9. Das Recht, aus erheblichen Gründen Verbrechen zu verzeihen;
Untersuchungen niederzuschlagen; Verbrecher ganz oder zum Theil zu
begnadigen; Zuchthaus-, Festungs- oder andere härtere Leibesstrafen in
gelindere zu verwandeln, kann nur von dem Oberhaupte des Staats unmittelbar
ausgeübt werden; so weit er nicht dasselbe, für gewisse Arten von Verbrechen
oder Strafen, einer ihm untergeordneten Behörde ausdrücklich übertragen hat.
§. 10. Durch dergleichen Aufhebung eines Verbrechens, oder durch die
erfolgende Begnadigung des Verbrechers, sollen aber die aus der That selbst,
wohl erworbenen Privatrechte eines Dritten niemals gekränkt werden.
§. 11. Vielmehr bleibt diesem, wenn auch die peinliche Untersuchung gegen
den Angeschuldigten niedergeschlagen worden, dennoch frey, die Richtigkeit
der Thatsache, so weit es zu Begründung seines Rechts erforderlich ist, im
Wege des Civilprozesses nachzuweisen.
§. 12. Das Recht, Münzen, Maaß und Gewicht zu bestimmen, gehört zu den
Majestätsrechten.
§. 13. Alle im Staate vorhandene und entstehende Gesellschaften, und
öffentliche Anstalten, sind der Aufsicht des Landesherrn, nach dem Zwecke
der allgemeinen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung unterworfen.
§. 14. Damit das Oberhaupt des Staats die ihm obliegenden Pflichten erfüllen,
und die dazu erforderlichen Kosten bestreiten könne, sind ihm gewisse
Einkünfte und nutzbare Rechte beygelegt.
§. 15. Das Recht, zur Bestreitung der Staatsbedürfnisse, das Privatvermögen,
die Personen, ihre Gewerbe Produkte, oder Consumtion mit Abgaben zu belegen,
ist ein Majestätsrecht.
§. 16. So weit die Besorgung gewisser zu den Rechten und Pflichten des
Staats gehörender Angelegenheiten und Geschäfte den Beamten des Staats
vermöge ihres Amts obliegt (§. 7), muß diesen, innerhalb der Gränzen ihres
Auftrags, eben so, wie dem Landesherrn selbst, Folge geleistet werden.
Privatrechte des Landesherrn und seiner Familie.
§. 17. Rechtsangelegenheiten, welche die Personen- und Familienrechte des
Landesherrn und seines Hauses betreffen, werden nach den Hausverfassungen
und Verträgen bestimmt.
§. 18. Andre Privathandlungen und Geschäfte derselben sind nach den Gesetzen
des Landes zu beurtheilen.
Siebenzehnter Titel
Von den Rechten und Pflichten des Staats
zum besondern Schutze seiner Unterthanen4
Allgemeine Grundsätze.
§. 1. Der Staat ist für die Sicherheit seiner Unterthanen, in Ansehung ihrer
Personen, ihrer Ehre, ihrer Rechte, und ihres Vermögens, zu sorgen
verpflichtet.
§. 2. Dem Staate kommt es also zu, zur Handhabung der Gerechtigkeit, zur
Vorsorge für diejenigen, welche sich selbst nicht vorstehn können, und zur
Verhütung sowohl, als Bestrafung der Verbrechen, die nöthigen Anstalten zu
treffen.
Erster Abschnitt
Von der Gerichtsbarkeit
Polizeygerichtsbarkeit.
§. 10. Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe,
Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen
Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der
Polizey.
Zwanzigster Titel
Von den Verbrechen und deren Strafen
§. 1. Eine jede Obrigkeit, und jeder Vorgesetzte im Volke, muß Laster und
Verbrechen bey seinen Untergebenen zu verhüten ernstlich beflissen seyn.
§. 2. Aeltern und Erzieher, Schul- und Volkslehrer sind besonders
verantwortlich, wenn sie die ihnen obliegenden Pflichten, in Ansehung der
ihrer Aufsicht anvertraueten Personen vernachläßigen.
§. 3. Oeffentliche Verachtung der Religion, und Verführung der Unschuld
sollen gesetzmäßig und nachdrücklich geahndet werden (Abschn. VI. XII.)
Zwölfter Abschnitt
Von fleischlichen Verbrechen
Vorbeugungsmittel.
§. 292. Aeltern und Erzieher müssen ihre Kinder und Zöglinge gegen das
verderbliche Laster der Unzucht durch wiederholte lebhafte Vorstellungen der
unglücklichen Folgen desselben warnen, und sie zu einem ehrbaren sittsamen
Lebenswandel ernstlich anweisen.
§. 993. Solchen Aeltern, Vormündern, und Erziehern, welche ihre Untergebenen
durch ärgerliche Reden und Handlungen zur Wollust reizen, oder ihren Hang zu
Ausschweifungen begünstigen, sollen die Rechte der Erziehung, und die damit
verknüpften Vortheile genommen werden.
§. 994. Die Aeltern sollen alsdann das Recht des Nießbrauchs von dem
Vermögen ihrer Kinder; die Vormünder die ihnen sonst zukommende Belohnung
und die Erzieher ihr Amt oder ihren Gehalt verlieren.
Anhang
Johann Jacob Moser
Von der Landeshoheit in Polizeysachen, 1773
Erstes Capitel
Policeysachen überhaupt.
Seite 2 §. 2
Was Policey seye? Ich verstehe hier unter dem Wort: Policey diejenige
Landesherrliche Rechte und Pflichten, auch daraus fliessende Anstalten,
welche die Absicht haben, der Unterthanen äusserliches Betragen im gemeinen
Leben in Ordnung zu bringen und zu erhalten, wie auch ihre zeitliche
Glückseligkeit zu befördern. ...
Seite 3 Es ist fast kein Wort, welches in denen Gesezen und Schriften derer
Gelehrten so eine ...
An unten (3) angezeigtem Ort heißt es: ?Was eine Policeysache seye? Ist
nicht so leicht zu sagen. Leyserius will in Spec. 684 § 35 an einer
richtigen Definition gar verzweifeln. Wir verstehen in sensu largo darunter,
was zu guter Einrichtung sowohl des inn- als äußerlichen Wesens eines Staats
gehrt; und in disem Verstand muß man auch das Justiz- Religions Finanz- und
Commercialwesen dahin rechnen. So weit nun dieselbe denen Justizachen durch
Ordnung und Observanz entgegen gesezet seynd; so weit heißen sie
Polizeysachen in sensu stricto. ...
Seite 4 §. 3.
Ihr Zweck. Der Zweck der Policey ist also, I. gute Ordnung im gemeinen Leben
und Wandel, 2. die Beförderung der äusserlichen Glückseligkeit der
Unterthanen; zu welchem Ende die Obrigkeit ihre Macht so gebraucht und alles
so dirigirt, daß gesagter Zweck herauskomme.
Als dises gegenwärtige Werck längst verfertiget ware, fande ich bey dem
Freyherrn von Kreittmayr (3) eine schöne Stelle, welche den Zweck und Umfang
derer Policeyrechte kurz und nervos also zusammenfasset: ?Die Einfuhr- und
Erhaltung einer regelmäßigen Policey (welche gleichsam das Leben und die
Seele eines Staats genennet werden mag,) befuget den Regenten zu allerhand
Anordnungen, sonderbar jene, wodurch die Nahrung in blühendem Stand erhalten,
das Publicum mit hinlänglich- und wohlfeilen Lebensmitteln versehen, sohin
der Noth und Armuth sattsam gesteuert wird; welches er sodann weiter
ausführet: Meines Erachtens aber erstrecket sich die Policey auch noch auf
andere Sachen; wie dann auch diser grosse Mann bald darauf selber schreibt:
Der Landesherr ?veranstaltet in summa alles, was er zur Sicherheit,
Bequemlichkeit, guter Zucht, Ordnung, Nahrung, Bevölkerung und Reichthum des
Staats nur immer für dienlich erachtet:
Seite 5 Herr Geh. Just. Rath Pütter hat (1) von der Policey einen ganz
besonderen und eigenen Begriff, wann er schreibt: Ea supremae potestatis
pars, qua exercetur cura avertendi mala futura, (warum nicht auch:
praesentia?) in statu Reipublica interno in commune metuenda, dicitur jus
Politia ... Promovendae salutis cura proprie non est Politiae, nisi quatenus
ea mente agitur, ut tanto latior fit status isti malo, quod metuebatur,
directe oppositus*. Ich denke hierinn ganz anderst.
Indessen seynd in der That alle dergleichen Streitigkeiten blosse
Schulstreitigkeiten über dem Begriff von dem Policeywesen: In der Sache
selbst aber kommt man allemal überein, daß es ein Landesherrliches Recht und
Pflicht seye, das gemeine Beste auf dise und jene Weise zu beförderen, wie
auch das, so demselben zuwider ist, zu verhinderen, oder abzustellen.
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